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Auch die Uhrmacher plagt das Nachwuchsproblem – die Ausbildung ist zudem weniger gefragt als die des Goldschmieds. Was kann die Branche dagegen tun?
Timo Boxberg klingt verzweifelt. Sechs, neun Monate sucht er bereits intensiv nach Uhrmachern, allein: Er findet keine. Vier Mitarbeiter haben ihn verlassen, einer ist in Rente ge- gangen, eine Kollegin wurde schwanger, einer wollte gern auf Wanderschaft gehen, einer hat sich abwerben lassen. Vier von 20: Für seinen Betrieb ist das ein Aderlass. Seit zehn, 15 Jahren herrsche bereits der vielfach beschworene Fachkräftemangel unter den Uhrmachern, sagt er. Was andere Branchen momentan erlebten, kenne er schon lange. So schlimm wie momentan sei es aber auch bei ihm lange nicht gewesen: „Wir gehen auf dem Zahnfleisch.“
„Realistisch betrachtet, müsste sich die heutige Zahl an Uhrmacher-Azubis fast verdoppeln, um den Bedarf zu decken.“
Albert Fischer
Präsident des Zentralverbandes für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik
Der Mangel holt sie ein
Boxberg betreibt in zweiter Generation eine gut laufende Uhrmacherwerkstatt in Overath. Für eine Vielzahl an Juwelieren repariert sie Uhren fast aller Marken, seit zehn Jahren wickelt sie auch Aufträge von Endkunden direkt ab. Eigentlich ist seine Firma ein Profiteur des Fachkräftemangels: Sie ist vor gut 25 Jahren entstanden, weil viele Juweliere selbst keine Uhrmacher mehr beschäftigen konnten oder wollten oder auch keine fanden. Jetzt holt sie der Mangel selbst ein.
Vier Azubis hat Timo Boxberg in seinem Team, „mehr geht nicht“, sagt er. Das Problem sei: Im Bezirk der Handwerkskammer Köln sei sein Unternehmen lange Zeit das einzige gewesen, das selbst Uhrmacher ausgebildet hat (Rolex Deutschland bietet mittlerweile auch Lehrstellen an). Sein Vater, der Unternehmensgründer, habe als Obermeister der Innung einst zumindest eine vollschulische Ausbildung am Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen mitinitiiert. Uhrmacher-Lehrlinge können hier jedes Jahr eine Ausbildung firmenunabhängig beginnen, wie ansonsten noch in Glashütte, Hamburg, Furtwangen und Pforzheim. Wenn er Ausbildungsstellen ausschreibe, sagt Boxberg, erhalte er Bewerbungen aus dem ganzen Bundesgebiet.
Das verwundert nicht: Ganze 207 Uhrmacher-Azubis befanden sich 2021 bundesweit in Ausbildung, 336 waren es noch 2015. Wie viel brauchte es, damit man sagen könnte: Es reicht, die Zukunft des Berufs ist gesichert? „Realistisch betrachtet müsste sich die heutige Zahl fast verdoppeln, um den Bedarf zu decken“, sagt Albert Fischer, Präsident des Zentralverbands für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik. Wie bei den Goldschmieden fehlen auch bei den Uhrmachern die Ausbildungsbetriebe, die die duale Ausbildung und damit die Zukunft der Branche am Leben erhalten. Wer Uhrmacher ist, kann sich dagegen im Moment kaum vor Angeboten retten. „Als kleines Unternehmen habe ich bei vielen kaum eine Chance, mitzuhalten, wenn die Großen anklopfen“, sagt Timo Boxberg.
JUNG, MOTIVIERT, GESUCHT …
„Nach dem Abi habe ich mich gefragt: Warum nicht das machen, womit ich mich sowieso den ganzen Tag beschäftige?“, sagt Leon Magerstädt, 19, zu seiner Motivation, sich für eine Uhrmacherausbildung zu bewerben. Autodesign hätte ihn auch gereizt, Uhren jedoch seien zugänglicher. Zudem sammelte er sie bereits seit er 15, 16 war. Waren sie mal kaputt, probierte er sich selbst an der Reparatur: „Auch YouTube-Videos haben dabei geholfen.“ Die Uhrmacherei lernt er seit September 2022 nun bei Richemont in München auf höchstem professionellem Niveau. Dass er nach dem Abschluss sehr gefragt sein wird, weiß er: „In unserer Berufsschule hängt die Wand voll mit Jobangeboten.“
Das Problem kennt auch Holger Steidinger. In Metzingen hat er ein Geschäft für Optik, Uhren und Schmuck. Einer seiner beiden Uhrmachermeister ist Ende des Jahres mit 69 endgültig in Rente gegangen, ein Gehilfe wurde von einem Textilmaschinenhersteller abgeworben. Übrig ist noch eine Uhrmachermeisterin, die aus privaten Gründen nur an vier Tagen pro Woche arbeiten kann. „Ich brauche für sie dringend Entlastung“, sagt Holger Steidinger. Er hat erst mal die Öffnungszeiten der Werkstatt angepasst und nimmt bis auf Weiteres nur noch Uhren zur Reparatur an, die auch bei ihm gekauft wurden. Das ist natürlich kein Dauerzustand.
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Aufsehenerregende Aktion
Was also tun? Für seinen Besuch der Inhorgenta plant er eine Aktion, die er vier Wochen zuvor schon auf einer Optikmesse gesehen hat. Er heftet sich sein Stellenangebot kurzerhand auf den Rücken und läuft damit durch die Hallen. Pauschal 500 Euro mehr als im Job zuvor, eine Viereinhalb-Tage- Woche und sechs Wochen Urlaub im Jahr verspricht er Interessenten. „Mich haben zahlreiche Leute angesprochen“, berichtet er. „Ich war wahrscheinlich auch der meistfotografierte Mensch auf der Messe.“ Hat sich die Aktion gelohnt? Hat sich jemand beworben? „Bisher noch nicht“, sagt Holger Steidinger. „Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass es draußen jemanden gibt, der zu uns passt.“
Der Fachkräftemangel, sagt Timo Boxberg, habe wie ein Schatten über der Inhorgenta geschwebt. „An unserem Stand des Zentralverbandes für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik haben wir eine Vielzahl an Gespräche mit Kollegen geführt, die händeringend Uhrmacher suchen. Der Markt ist aktuell wie leer gefegt.“ Juweliere seien gar mit eigenen Recruitingständen auf der Messe vertreten gewesen.
Ein zusätzliches Problem: Manche Arbeitsagenturen bezeichnen den Uhrmacher als „aussterbenden Beruf“ und raten Interessenten von einer Ausbildung oder Umschulung ab. „Dass Uhrmacher händeringend gesucht werden, ist dort noch nicht angekommen“, bestätigt Albert Fischer. Für jemanden, der sich zum Uhrmacher umschulen lassen wollte, musste er eigens ein Gutachten für die Arbeitsagentur verfassen, sonst wäre der Antrag abgelehnt worden. Der Verband hat dann Infomaterial an alle Arbeitsagenturen verschickt.
Um junge Leute über den Beruf zu informieren und für den Beruf zu begeistern, hat der Verband das Portal www.wietickst-du.de gestartet, das noch weiter ausgebaut werden soll. Unter anderem erklären hier junge Uhrmacher-Azubis, was sie am Beruf begeistert. Man versucht, junge Leute über Social Media zu erreichen. Zudem wurde ein Förderpaket für Ausbildungsbetriebe geschnürt, das pro Ausbildungsplatz bis zu 5500 Euro wert ist. Fast die Hälfte der Ausbildungsbetriebe werde darüber bereits gefördert. Hoffnungen setzt man auch darauf, dass die Uhrmacher – analog zu den Goldschmieden – wieder zu den Handwerksberufen mit Meisterpflicht erhoben werden und es dann wieder mehr Uhrmachermeister gibt, die ausbilden. Auf die Liste des „immateriellen Kulturerbes“ der UNESCO haben es die Uhrmacher bereits geschafft.
„Solange Menschen mechanische Uhren kaufen, braucht es auch uns Uhrmacher. Und ein Ende dieses Booms ist ja nicht abzusehen.“
Timo Boxberg
Uhrmacher in Overath
Timo Boxberg sieht noch einen anderen Hebel, wie es gelingen könne, wieder mehr Uhrmacherstellen zu schaffen: Indem die Juweliere ihre Werkstatt besser kalkulieren. „Für viele Juweliere sind Reparaturen kein echtes Zusatzgeschäft, sondern dienen nur der Stützung des Verkaufs.“ Wenn die Werkstattleistungen aber sauber kalkuliert würden und die Preise entsprechend angepasst, würde sich die Einstellung eines Uhrmachermeisters für viele Juweliere rentieren – und es könnten vernünftige Löhne gezahlt werden, die den Beruf attraktiver machen. Entsprechend mehr Jobs und Ausbildungsangebote könnten auf breiter Front entstehen. Dass er damit seinem eigenen Geschäft schaden könnte, bezweifelt Timo Boxberg: „Es ist mehr als genug Arbeit für alle da.“
Wie geht er selbst mit dem Fachkräftemangel um? Welche Folgen hat es für seine Werkstatt, wenn vier Uhrmacher fehlen? „Wir verschlanken die Verwaltung“, sagt Timo Boxberg. So habe er die telefonische Erreichbarkeit auf zwei Stunden pro Tag begrenzt, damit mehr Zeit fürs Abarbeiten der Aufträge bleibe. Man schaue auch genauer hin, welche Aufträge man noch annehme und welche nicht. Er plant zudem eine reine Ausbildungswerkstatt – aber auch hierfür sucht er händeringend einen Uhrmacher, der die Ausbildung leitet und durchführt.