| Brennpunkt
Wirtschaftlich steht Deutschland so gut da wie lange nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit ist mit unter sechs Prozent auf dem tiefsten Stand seit 25 Jahren, das Geschäftsklima bleibt anhaltend gut und die Einkommenserwartung der Deutschen befindet sich auf einem sehr hohen Niveau. Beste Bedingungen also für die Ausgabebereitschaft der Verbraucher. Zwar sank im Sommer der GfK-Konsumklimaindex aufgrund von Brexit und Terrorangst, allerdings nur minimal. Weite Teile des Einzelhandels konnten im ersten Halbjahr 2016 wachsende Umsatzraten verzeichnen.
Doch es gibt auch Verlierer, trotz der guten Rahmenbedingungen. Am stärksten traf es den Einzelhandel mit Schmuck und Uhren – ausgerechnet die Branche, die vom gutem ökonomischen Klima meistens profitiert und sich zu Jahresbeginn größtenteils optimistisch zeigte, beflügelt von einem guten Geschäftsjahr 2015. Laut dem Bundesverband der Juweliere, Schmuck- und Uhrenfachgeschäfte (BVJ) sank der Umsatz dort im ersten Halbjahr nominal um 4,5 Prozent, real sogar um 9,2 Prozent. Auch die Zahlen des GfK-Uhrenpanels weisen für den gleichen Zeitraum schleppend laufende Geschäfte aus, wenn auch weniger deutlich. Ein Minus von 3,7 Prozent errechneten die Experten für den Uhrenabsatz. Beim Umsatz gaben sie ein minimales Plus von 0,4 Prozent an. Noch schlechter sieht es in der Exportstatistik der Schweizer Uhrenindustrie aus, die immer weniger Nachbestellungen von hiesigen Händlern verbucht. Im August brach die Ausfuhr nach Deutschland um 14,7 Prozent ein, das fünfte monatliche Minus in Folge.
Deutlich unter Plan
„Der Jahresanfang war ein Schock“, sagt Juwelier Georg H. Leicht aus Pforzheim. Nach dem guten Geschäftsjahr 2015 habe die Nachfrage drei bis vier Monate lang in vielen seiner Geschäfte am Boden gelegen, mit teils sehr deutlichen Umsatzrückgängen. Erst seit dem Sommer laufe es wieder besser. Sein Münchner Kollege Stephan Lindner, Präsident des BVJ und Inhaber von Juwelier Fridrich, sieht das ähnlich: „Es ist eine Dämpfung da. Das erste Halbjahr ist verhalten gelaufen“, sagt er. Auch von großen Juweliersketten ist zu hören, dass die Geschäfte in den vergangenen Monaten deutlich unter Plan liefen. Besonders heftig traf es den Luxus-Filialisten Wempe, der mit 21 Prozent Minus aus dem ersten Halbjahr ging (siehe Kasten rechts). Hier soll allerdings das Chinageschäft die Hauptursache gewesen sein, das laut Wempe extrem gelitten habe.
„Mich überrascht das wenig“, sagt Frank-Michael Müller, dessen Marktforschungsunternehmen Responsio zusammen mit dem Sinus-Institut seit 2013 den Uhren-Monitor Deutschland herausgibt. Die Verbraucherbefragung zu Uhren und Luxusartikeln habe bereits im Frühjahr 2015 die jetzige Entwicklung vorausgesagt. „Die Kaufbereitschaft vor allem im Exklusiv-Segment hat damals abgenommen“, sagt Müller (siehe Grafik S. 16 oben links). Und diese Käuferschicht habe immerhin die mit Abstand größte Bedeutung für den Umsatz. „Das Ganze war also nur eine Frage der Zeit.“
Wo liegen die Gründe für die trübe Lage, die mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage offenbar wenig zu tun hat? Nicht wenige in der Branche sehen die angespannte politische Situation in Deutschland und Europa als wichtigen Faktor, die Terrorangst, die Brexit-Folgen, die Flüchtlingsdebatte. „Die Leute wissen nicht, wo es hingeht. Wer Geld hat, investiert gerade lieber in Immobilien“, sagt Stephan Lindner. Auch das Geschäft mit ausländischen Urlaubern habe – zumindest zeitweise – gelitten. „Der Amoklauf im Juli hat in München einen spürbaren Rückgang der Touristenzahlen bewirkt“, sagt Lindner. Die islamistisch motivierte Terrorattacke in Würzburg, bei der Urlauber aus Hongkong schwer verletzt wurden, habe die Situation noch verschlimmert. Wenige Tage nach der Tat hatte Hongkong eine Reisewarnung für Deutschland ausgegeben. Bis jetzt kämen weniger chinesische Touristen in die Geschäfte. „Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation bis Weihnachten bessert“, sagt Lindner. Die meisten Menschen wüssten, dass sie sich auf die Sicherheitsmaßnahmen hierzulande verlassen könnten.
Touristen bleiben fern
Auch bei Juwelier Leicht hält sich die ausländische Kundschaft teilweise zurück. Dass viele Chinesen München derzeit meiden und lieber in andere Städte reisten, sei zu spüren, sagt Leicht, der in der Stadt etwa ein Drittel des Umsatzes mit Urlaubern aus dem Reich der Mitte macht. Ein ganz anderes Problem habe er in seiner Dresdener Filiale. Da würden viele Touristen wegen der rechten Pegida-Bewegung wegbleiben. „Das schädigt uns“, sagt Leicht. In Dresden deute sich für ihn ein deutlich schlechteres Jahr an.
In solchen Zeiten seien die Leute einfach nicht so hungrig auf Schmuck, sagen einige in der Branche. Melanie Dummin, 14 Jahre lang Marketing-Chefin bei Christ und heute Inhaberin des Beratungsunternehmens The Brand Management, sieht vor allem bei der gesellschaftlichen Mitte wenig Bewegung. „Die Zeiten sind schwierig, man sieht all die Menschen, denen es schlechter geht. Da kuschelt man lieber mehr.“ Viele würden sich fragen: „Brauche ich denn jetzt noch einen Ring? Ich habe doch eigentlich genug.“ An dem Punkt werde deutlich, dass es sich bei Schmuck und Uhren eben nicht um klassische Konsumprodukte handle. Da gehe es vor allem darum, sich zu belohnen. „Und das macht gerade nicht so richtig Spaß“, sagt Dummin.
Obwohl die Branche insgesamt Federn lassen musste – es gibt viele, die von großer Nachfrage und guten Umsatzzahlen berichten, Juweliere genauso wie Produzenten. „Wir erleben gerade das stärkste Jahr unserer Firmengeschichte“, sagt Bernd Wolf, Inhaber des gleichnamigen Schmuckherstellers aus dem Schwarzwald, der kürzlich mit dem German Brand Award ausgezeichnet wurde. Die Zahl der Mitarbeiter in der Manufaktur sei deutlich aufgestockt und der Umsatz gesteigert worden. Auch Juweliere, die in eigene Schmucklinien investieren, scheinen sich abzusetzen. Juwelier Zimmer aus Castrop-Rauxel konnte gerade eine Filiale auf Sylt eröffnen, so gut laufen die Schmuckkollektion „Schichtwechsel“ und der Goldring „Torus8“. „Differenzierung ist uns sehr wichtig“, sagt Inhaber Matthias Zimmer. Die Kaufbereitschaft zeige, dass vielen Kunden hochwertiges Design wichtiger sei als eine namhafte Marke. Bei Juwelier Hilscher in München ist man ebenfalls in Bestlaune. „Das letzte Jahr war sehr gut. Dieses Jahr ist noch besser“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Kai-Pierre Thieß. Das Geschäft mit Touristen im Innenstadt-Geschäft, vor allem aus China und dem arabischen Raum, laufe hervorragend. Das liege daran, dass man international mit Destination Management Companys zusammenarbeite, also schon in den Herkunftsländern um die Kunden werbe. „Ich glaube, dass das Thema Terrorangst und die Sicherheitssorgen nebensächlich sind und nicht darüber entscheiden, ob jemand Geld in eine Uhr investiert“, sagt Thieß.
Konkurrenz aus dem Netz
Insgesamt scheint das Geschäft mit lokaler Kundschaft bei vielen Händlern stabil geblieben zu sein. In seinen Filialen in Pforzheim oder Rottach-Egern zum Beispiel, wo Touristen kaum eine Rolle spielten, laufe es ganz normal, sagt Georg H. Leicht. „Wer sich zu sehr an ausländischen Kunden orientiert, dem fällt das schnell auf die Füße“, ergänzt er. Ähnliches ist aus dem Hause Wempe zu hören. Trotz Umsatzeinbrüchen sei das Geschäft mit ortsansässigen Kunden im ersten Halbjahr stabil gewesen.
In Zeiten, die Umsatzeinbußen bringen, muss neben der Suche nach kurzfristigen Ursachen immer wieder auch der Blick auf die langfristigen Determinanten des Marktes geworfen werden, auf sich verändernde Trends, die Bedeutung unterschiedlicher Vertriebskanäle, die Veränderungen durch den Onlinehandel, das sich wandelnde Konsum- und Einkaufsverhalten. Denn Schmuck und Uhren haben mächtig Konkurrenz bekommen. „Ein Teil des Umsatzes der lokalen Fachhändler geht mit Sicherheit an den Internethandel verloren“, sagt Bernd Wolf. Auf der anderen Seite werde viel Geld ausgegeben für elektronische Artikel, insbesondere für Smartphones und Tablets, die eine wichtige Rolle als Statussymbol hätten, oder auch für Wellness-Trips in gute Hotels. Verbraucherbefragungen wie der Uhren-Monitor bestätigen das. In seiner Ausgabe 2015 waren Armbanduhren im Ranking der Luxus-Produkte gegenüber 2013 um einen Platz nach unten gerutscht, verdrängt von Bekleidung und Mode, mit „Urlaub und Reisen“ als Spitzenreiter.
Umso wichtiger sei es heute, dass Juweliere und Goldschmiede aktiv um Kunden werben und auch Preislagen im Sortiment haben, die immer laufen, so Bernd Wolf. „Dort, wo der Einkauf als besonderes Erlebnis zelebriert wird und Kunden exzellent beraten werden in einer Umgebung, in der sie sich wohlfühlen, werden Juweliere auch in Zukunft großen Erfolg haben.“ Inszenieren, zelebrieren, den Einkauf zu einem Event machen, die angestammte Kundschaft pflegen – das sind die Stichworte. Ein weiteres Themenfeld, das in diesem Zusammenhang immer wichtiger wird, ist Ethical Sourcing in Verbindung mit Nachhaltigkeit und fairem Handel. „So kann man sich auch gegenüber dem Kunden differenzieren“, sagt Marcus Oliver Mohr, geschäftsführender Gesellschafter beim Pforzheimer Unternehmen Victor Mayer sowie Leiter der Fachgruppe Schmuck im Bundesverband Schmuck und Uhren.
In der Branche ist man nun sehr gespannt auf das Weihnachtsgeschäft. Werden November und Dezember, die beiden wichtigsten Umsatz-Monate, die Bilanz für 2016 noch retten? Ein gewisser Grundoptimismus jedenfalls ist zu spüren.