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Illustration: Nadine Pfeifer

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Die Riesen schwächeln

Einst machten die großen Einkaufszentren den kleinen Geschäften in den Fußgängerzonen das Leben schwer. Nun konkurrieren sie untereinander um Kunden, die lieber im Internet shoppen. Die Besucherzahlen gehen zurück, die Eintönigkeit in den Centern nimmt zu. Während die Betreiber an neuen Konzepten feilen, zieht manch ein Juwelier bereits Konsequenzen.


Wie das Überbleibsel eines verrotteten Freizeitparks wirkt die kleine Plastikeisenbahn auf Schienen im Foyer des Einkaufszentrums Steilshoop. Kein Kind zieht darin seine Runden und auch sonst ist es still in der kleinen Mall, die manche Anwohner nur die „Geister-Meile“ nennen. Etwa die Hälfte der Geschäfte steht leer. Buchläden, Optiker und Juweliere haben das Center im Nordosten Hamburgs schon lange verlassen. Eine Bäckerfiliale ist nun die Shopping-Attraktion im Erdgeschoss, inmitten zahlreicher verrammelter Boutiquen. Ein paar Fußbälle und Deutschlandfahnen sollen der Tristesse in einem der leeren Schaufenster entgegenwirken. Sie könnten von der diesjährigen Europameisterschaft stammen. Vielleicht aber auch von der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren.

Trauriger Einzelfall oder düstere Zukunftsversion? Auf den ersten Blick wirken die prächtigen Fassaden vieler Malls ganz und gar nicht traurig. Doch innen offenbart sich oft ein anderes Bild. Vor allem in den Shoppingcentern außerhalb der Top-Innenstadtlagen lassen die Besucherströme nach – genauso wie in den Einkaufsstraßen der meisten deutschen Städte.

 

Schlechte Zeiten für den Stationären Handel

Der stationäre Handel leidet unter rückläufigen Kundenzahlen, die Verbraucher shoppen lieber im Netz. Jedem zehnten Ladengeschäft in Deutschland droht bis 2020 die Schließung, prognostiziert das Kölner Institut für Handelsforschung. Von dieser Entwicklung bleiben Juweliere nicht verschont: 2011 gab es laut dem Statistischen Bundesamt bundesweit 8492 Einzelhandelsbetriebe im Uhren- und Schmuckbereich, 2014 waren es nur noch 8093. „Man hätte vermuten können, dass die Shopping-Center einer anderen Logik folgen, weil es in sich geschlossene Systeme sind“, sagt Michael Reink, Bereichsleiter Standort und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE). „Das ist aber nicht so.“

Rückläufige Kundenzahlen machen auch dem Ulmer Schmuckunternehmen Ehinger Schwarz 1876 zu schaffen, das mit einer Filiale im Alstertal-Einkaufszentrum vertreten ist, einem der größten Shoppingcenter Norddeutschlands. 1970 in einem Außenbezirk von Hamburg gegründet, wurde es 2006 aufwendig modernisiert und auf eine Verkaufsfläche von 59 000 Quadratmetern erweitert. Der alte Teil des Einkaufszentrums sei recht gut besucht, sagt Christoph Weiß, Inhaber von Ehinger Schwarz 1876. „Aber im neuen Teil kommen die Kunden einfach nicht an.“ Es ist einer der Gründe, warum das mittelständische Unternehmen im Herbst dieses Jahres sein Geschäft in dem Center aufgeben wird. Der andere Grund ist die Nachbarschaft. Man dürfe es nicht pauschalisieren, so Weiß, nicht alle Einkaufszentren seien schlecht. „Aber es gibt viele, die nur noch Massenmarken haben, die es in jeder Stadt an jeder Ecke gibt.“ Nicht das geeignete Umfeld für einen Hersteller, dessen Kundschaft individuelle Produkte bevorzugt, findet Weiß. Bereits 2013 gab das Unternehmen seine Filiale in einem Augsburger Einkaufszentrum auf, nächstes Jahr steht der Abzug aus den Münster Arkaden an. Stattdessen setzt Ehinger Schwarz 1876 verstärkt auf Top-Innenstadtlagen. In der Theatinerstraße etwa eröffnete der Schmuckhersteller im Juli seine zweite Münchener Filiale.

Die Einkaufsstraßen in den A-Lagen der deutschen Metropolen sind noch immer gut besucht, so das Ergebnis einer Passantenzählung, die das Maklerhaus Jones Lang Lasalle (JLL) in diesem Jahr durchgeführt hat. Demnach liegen die Top-5-Städte 2016 sogar über ihrem jeweiligen Zehn-Jahres-Schnitt. Die Kölner Schildergasse ist mit bis zu 16 835 Passanten in der Stunde die meistbesuchte Einkaufsstraße des Jahres, gefolgt von der Neuhauser Straße in München und der Frankfurter Zeil. Die hohen Mieten dort können sich viele Juweliere allerdings nicht mehr leisten.

In die Innenstädte drängten auch die Einkaufszentren, die früher zumeist abseits auf der grünen Wiese errichtet wurden. In den vergangenen Jahrzehnten sprossen sie regelrecht aus dem Boden. Derzeit gibt es in Deutschland 476 Shoppingcenter, so der aktuelle Bericht des EHI Retail Institute, eines Forschungs- und Beratungsinstituts für den Handel. Zusammen haben sie eine Fläche von rund 15,3 Millionen Quadratmetern. Vier weitere Projekte sollen bis Ende des Jahres hinzukommen. Im Vergleich zu früheren Zeiten eine kleine Zahl: „Der große Boom der Shoppingcenter-Neueröffnungen ist vorerst vorbei“, heißt es in dem Bericht. Der Boom fand vor allem in den 90er-Jahren sowie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts statt. So stieg die Zahl der Einkaufszentren von 279 im Jahr 2000 auf 428 im Jahr 2010. Bereits 2015 konstatierten die Experten des EHI Retail Institute einen „gesättigten Markt“ und einen „zunehmenden Verdrängungswettbewerb“.

Beliebt bei Investoren aus dem Ausland

Droht hierzulande eine ähnliche Situation wie in den USA? Dort, im Mutterland der Malls, werden schon seit Jahren zahlreiche Center geschlossen und teilweise abgerissen. Websites wie Deadmalls.com dokumentieren das Sterben der großen Immobilien. 432 Fälle sind dort aktuell gelistet.

Von solchen Zahlen ist man gegenwärtig in Deutschland weit entfernt. Paradoxerweise sind deutsche Einkaufszentren bei ausländischen Investoren gerade äußerst beliebt – in Zeiten, in denen die Menschen Kleidung, Haushaltsgeräte und sogar Lebensmittel lieber per Computer oder Smartphone ordern. Bedingt durch den Anlagenotstand suchen die Investoren nach Möglichkeiten, ihre Gelder unterzubringen, und finden sie in den großen Objekten, die einen kontinuierlichen Fluss an Einnahmen versprechen. Das Transaktionsvolumen hat sich in diesem Segment 2015 gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht, und zwar auf 5,6 Milliarden Euro, so der aktuelle Bericht von Jones Lang Lasalle. 57 Prozent der Investoren stammen aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich und Kanada.

Ihre Nachfrage ist mittlerweile größer als das Angebot, vor allem in Spitzenlagen stehen kaum mehr Objekte zum Verkauf. Notgedrungen weichen die Gelbgeber auf Immobilien in schlechteren Lagen oder kleineren Städten aus. Dabei ist ungewiss, ob sich das Geschäft für Investoren und Betreiber am Ende lohnt. Denn die Mieter als wichtigstes Glied in der Profitkette schwächeln. Selbst große Filialisten, die einst die Besuchermagnete in den Einkaufszentren waren und für die Grundfrequenz sorgten, verkleinern sich. Elektroanbieter wie Saturn oder Mediamarkt, früher strahlender Mittelpunkt eines jeden Centers, mieten kleinere Flächen an und setzen stärker auf die Vernetzung von stationärem und Online-Handel. SB-Warenhäuser wie Real verzeichnen sinkende Umsätze: Im Zeitraum von September 2014 bis September 2015 sank der Umsatz der Handelskette gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,7 Milliarden Euro.

Auf der Suche nach Neuen Konzepten

„Das Grundkonzept der Center funktioniert nicht mehr“, sagt Michael Reink vom HDE. Denn obwohl die großen Filialisten bei vielen kleinen Händlern keinen guten Ruf haben, profitieren Letztere häufig von der Anziehungskraft der Ketten. „Ich bin kein Freund des Filialisten-Bashings“, sagt Reink. „Die Leute kommen nun mal wegen Geschäften wie Primark oder H&M in die Innenstädte.“ Wichtig sei es jedoch, nicht nur auf diese Karte zu setzen, sondern auch lokale Anbieter in die Einkaufszentren zu holen.

Die Center-Betreiber versuchen, geeignete Antworten zu finden. Dem bequemen Einkauf am heimischen Computer setzen sie zunehmend Erlebniswelten entgegen. Das Ziel: die Verweildauer der Besucher zu erhöhen. Vor allem das gastronomische Angebot in den Einkaufszentren nimmt zu. Aber auch offene WLANs und Events wie Modenschauen oder Ausstellungen sollen Kunden locken.

„Leerstand ist natürlich nie eine Lösung“, ist HDE-Standortexperte Reink überzeugt. Mancherorts funktionieren Betreiber und Stadtplaner leer gewordene Verkaufsflächen um, indem sie dort Wohnräume, Büros oder Arztpraxen ansiedeln. Damit lassen sich jedoch nicht so hohe Mieteinnahmen erzielen wie mit dem Einzelhandel. „Und es sieht schon etwas merkwürdig aus, wenn die Patienten da im Schaufenster sitzen“, findet Reink.

Statt auf Neubau setzen die Betreiber deutscher Einkaufszentren derzeit vor allem auf Revitalisierung. „Unser Verband begrüßt das sehr“, sagt Joachim Dünkelmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Juweliere, Schmuck- und Uhrenfachgeschäfte (BVJ). Vor allem die Bauten aus den 80er- und 90er-Jahren entsprechen von ihrer Architektur her oft nicht mehr dem heutigen Kundengeschmack.

Dünkelmann kann den Shoppingcentern einiges Gutes abgewinnen: „Ich kenne viele Juweliere, die ihr Geschäft in einem Einkaufszentrum haben und dort sehr glücklich sind.“ Zwar gebe es Nachteile wie hohe Fixkosten oder vorgegebene Öffnungszeiten, dem stünden aber viele Vorteile gegenüber. Etwa würden Einzelhändler von gemeinschaftlichen Werbe- und Sicherheitskonzepten profitieren.

 

Faramarz Mozaffarian weiß von weiteren Pluspunkten zu berichten. Bei der Gründung seines Juweliergeschäfts Cabochon im Jahr 1991 entschied er sich gemeinsam mit seiner Frau Zari bewusst für den Standort im Alstertal-Einkaufszentrum. Dass die Kunden dort vor dem Hamburger Wetter geschützt sind, sei zum Beispiel ein Vorteil, so Mozaffarian. „Auch müssen sie sich keine Sorgen machen, dass ihr Auto abgeschleppt wird, während sie einkaufen.“ Touristenströme sucht man in der am Stadtrand gelegenen Mall vergebens, sie wird vor allem von lokaler und Stammkundschaft besucht. „Wir merken schon seit Jahren, dass weniger Besucher kommen“, sagt der Juwelier. Umsatzeinbrüche habe er jedoch nicht zu verzeichnen. Sein Geschäft, das renommierte Uhren- und Schmuckmarken sowie Unikate führt, zählt zu den exklusiven Adressen in der Hansestadt.

„Beim Uhren- und Schmuckkauf kommt es nach wie vor auf das Einkaufserlebnis an“, ist BVJ-Geschäftsführer Dünkelmann überzeugt. Dabei handele es sich um einen „hochemotionalen Vorgang“. Im Internethandel sieht Dünkelmann keine große Bedrohung: „Gerade in unserer Branche beobachten wir da keine explosionsartige Entwicklung.“ Viele Juweliere hätten sich im Netz mittlerweile gut aufgestellt, „sie verkaufen dort erfolgreich oder bahnen Geschäfte an“. Gerade die Zuführung zum stationären Geschäft spielt für Schmuck- und Uhrenhändler eine zentrale Rolle. Vielleicht lohnt es sich also doch, den Verkaufsraum fit für die Zukunft zu machen. Faramarz Mozaffarian jedenfalls baut sein Geschäft zurzeit um. Seinen Mietvertrag im Einkaufszentrum hat er gerade um zehn Jahre verlängert.

Text: Swantje Friedrich

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