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Illustration: Nadine Pfeifer

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Die fetten Jahre sind vorbei

Schweizer Uhren sind die Sorgenkinder der Branche.

Zum ersten Mal seit der Finanzkrise verbuchen die Eidgenossen teils dramatische Einbrüche im Exportgeschäft. Vor allem die Geschäfte mit Asien leiden. Ist edle Manufakturarbeit plötzlich nicht mehr zeitgemäß?


Manchmal ist weniger mehr. Zumindest am Handgelenk. Wer den Mächtigen der Welt auf die Armbanduhr schaut, der erkennt einen Trend: Understatement. Barack Obamas oft fotografierte Jorg Gray ist für umgerechnet unter 200 Euro zu haben, Frankreichs Premier François Hollande trägt die „Swatch Quarterman“ für etwa 135 Euro, Angela Merkel liest die Zeit von ihrer „Boccia Titanium“ ab. Die kostet gerade mal 89 Euro.

Da würden die großen Schweizer Uhrenhersteller die Zeit vermutlich gern um drei bis vier Jahre zurückdrehen. Seinerzeit nämlich lenkte Nicolas Sarkozy Frankreich und präsentierte Fotografen dabei seine Patek Philippe. Auch Silvio Berlusconi war damals noch im Amt, seine Vacheron Constantin kostet ungefähr eine halbe Million Euro. Doch die Ära von Berlusconi und Sarkozy ist vorbei – und offenbar sind auch die fetten Jahre der Schweizer Uhrenindustrie gezählt. Zum ersten Mal seit der Wirtschafts- und Finanzkrise meldete der Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH (Fédération de l’industrie horlogère suisse) für das abgelaufene Jahr einen Exportrückgang. In den ersten vier Monaten dieses Jahres lasen sich die Zahlen besonders alarmierend: ein Minus von 28,2 Prozent für Hongkong, 20,8 weniger Exporteinnahmen aus Taiwan, 15,2 Prozent weniger für  China, ähnlich der Rückgang für Singapur. 

Zum Jahresende 2015 

hatten die Schweizer 460000 Uhren weniger exportiert, das entspricht einem Rückgang um 7,3 Prozent.

Vor fünf Jahren wuchs der Absatz an Schweizer Uhren noch im zweistelligen Prozentbereich. Die größten und wichtigsten Abnehmer waren Hongkong und China. Fast jede zweite Uhr ging dorthin. 2015 begann dann die Talfahrt. Damals gab die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs des Franken zum Euro auf. Zum Jahresende 2015 hatten die Schweizer dann laut FH bereits 7,3 Prozent weniger Uhren exportiert – insgesamt 460000 Zeitmesser. Was zunächst nicht dramatisch klingt, schließlich haben die Eidgenossen 2015 trotzdem 28,1 Millionen Uhren in die ganze Welt geliefert. Doch tatsächlich sind weniger die Stückzahlen geschrumpft als der Umsatzwert – er verlor 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders mit Uhren aus dem Preissegment von 200 bis 500 Franken konnten die Schweizer kein Geld verdienen – die Exporte mittelpreisiger Uhren sanken um 8,7 Prozent im Wert. Das gehobene und Luxussegment fielen ebenfalls weit hinter den Erwartungen der Branche zurück. Preisgünstige Modelle bis 200 Euro Exportpreis legten als einzige marginal zu.

Ein Paradigmenwechsel von teuer zu günstig allein kann den Rückwärtsgang der Exporte insbesondere für Asien allerdings nicht erklären. Dazu sollte man auch einmal auf die Hände chinesischer Machthaber blicken. Und siehe da: Das Gelenk von Chinas Staatspräsident Xi Jinping sieht auf sämtlichen Fotos im Internet uhrenlos nackt aus. Sein ostentativer Verzicht auf Luxus ist nur konsequent: 2012 rief Xi Jinping mit der bis heute laufenden Antikorruptionskampagne die Jagd auf alle aus, die teure Uhren als Bestechungsgeschenke annahmen. Und da die Chinesen früher gern in Hongkong auf Uhren-Shopping-Tour gingen, inzwischen aber sowohl ihre Konsumlust gelitten hat als auch ihre Einkaufsziele sich geändert haben, schwächelt vor allem in Hongkong die Nachfrage nach Schweizer Uhren.

Einfluss des Franken lässt sich nicht leugnen

Das spüren auch die deutschen Händler, etwa Juwelier Georg Leicht, der außer in Pforzheim acht weitere exklusive Standorte in deutschen Metropolen betreibt. Er verzeichnet nach eigener Aussage 20 Prozent weniger asiatische Kunden. Leicht führt dies auf ein verändertes Einkaufsverhalten bei den Chinesen und deren Reiseführern zurück. „Die ersten drei Monate dieses Jahres waren besonders schwach“, sagt er. Für Kollegen, die ihr Sortiment überwiegend auf Kunden aus Fernost ausgerichtet hätten – zum Beispiel mit deren Lieblingsmarken Omega und Longines – „ist die Situation ein mehr als nur leichtes Problem“.

Weniger Touristen und Angst vor Terrorismus könnten den Rückgang um fast 12 Prozent in Frankreich erklären, niedrige Ölpreise und Anzeichen einer Wirtschaftsflaute den in Asien und Russland, wohin 2016 satte 35 Prozent weniger geliefert wurden, vermutet Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie FH (Fédération de l’industrie horlogère suisse, siehe Interview). Dazu komme der bis heute starke Franken: „Der Einfluss des Franken ist groß und die Marken müssen reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt er. Manche Uhrenmarken senkten Kosten und schmälerten Margen, andere erhöhten die Preise, berichtet er. 

Nicht alle Schweizer Uhrenhersteller lassen sich dabei in die Karten schauen, welche Strategien sie wählen, um ihre Produkte wieder weltweit attraktiv zu machen. François-Henry Bennahmias (FHB), CEO von Audemars Piguet, aber legt seine Ziele offen: „Unsere Jahresproduktion liegt bei 40 000 Stück und an dieser Marke haben wir sie für die kommenden fünf Jahre gekappt. Wir konzentrieren uns darauf, nur eine Uhr und einen Kunden zur Zeit auszubauen, egal ob in Asien oder anderswo.“ Die Richemont-Gruppe gibt an, bei Cartier und anderen Uhrenmarken Stellen abzubauen. 23 Prozent weniger Reingewinn als im Vorjahr weist Richemont aus, laut Konzernbericht hauptsächlich wegen schwacher Geschäfte im asiatisch-pazifischen Raum. Auch die Swatch Group erzielte nach eigenen Angaben nur etwa ein Fünftel weniger Gewinn als 2014. Ihr Geschäft verlor im gesamten asiatischen Raum 5,7 Prozent.

Deutsche Händler könnten profitieren

Für deutsche Händler muss es allerdings nicht von Nachteil sein, dass einige Schweizer Marken umdenken müssen. „Die Hersteller sind uns gegenüber kooperativer geworden und bieten auch wieder mehr Events an“, hat etwa Juwelier Leicht festgestellt. Viele würden den deutschen Kernmarkt und die nachhaltige Entwicklung der eigenen Marke wieder stärker in den Fokus rücken. Und offenbar tragen inzwischen auch einige Hersteller dem neuen Understatement Rechnung: Schließlich waren Medienberichten zufolge auch hierzulande immer weniger Kunden bereit, die Preispolitik der großen Namen mitzutragen. FH-Präsident Pasche bestätigt, dass sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten eine Verschiebung zu Produkten der unteren Preissegmente beobachten lasse – wie im Krisenjahr 2009. Manche Marken hätten bereits reagiert und „ neue Produkte in einem tieferen Eintrittspreis entwickelt“, berichtet er. Dennoch sei nach den ersten vier Monaten in 2016 erkennbar, dass die obere Preisklasse wieder am besten liefe.

Deutsche Händler könnten profitieren

Die Big Player der Uhrenindustrie dürften selbst eine FDH-Diät nach den fetten Exportjahren ohne substanzielle Schäden überstehen. Davon geht auch Bennahmias aus: „Was Audemars Piguet angeht, sind die Zahlen noch gut und entsprechen dem Wachstum aus 2015.“ Gleichwohl nehme man die Krise ernst – er rechne mit einer Konsolidierung sowohl auf Händler- als auch auf Herstellerseite. „Die Uhrenindustrie wird am Ende weniger Mitspieler haben“, prognostiziert er, „aber dafür Bessere.“

Die kleineren Hersteller und Zulieferbetriebe bangen unterdessen, ob sie unter denen sind, die ausscheiden. Dass vielfach Stellen gestrichen werden, bestätigt das Schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Laut der jüngsten Arbeitslosenstatistik für die Uhrenindustrie waren Anfang dieses Jahres beinahe 30 Prozent mehr Erwerbstätige dieser Branche ohne Job als im Vorjahr. Die Zahl der kurzarbeitenden Betriebe verdoppelte sich in diesem Zeitraum.

Smartwatches sind nach

Expertenmeinung unschuldig an der negativen Entwicklung.

„Es ist in der Branche zu spüren, dass die ganz große Zeit des Wachstums vorüber ist“, berichtet Marcel Giger, Geschäftsführer des traditionsreichen Grenchner Zeigerherstellers Estima: „Auch wir sind noch in Kurzarbeit, wollen sie aber demnächst auslaufen lassen.“ Giger erhofft sich eine Stärkung der Zulieferer auch durch die neue „Swissness“-Gesetzgebung, die Anfang 2017 in Kraft tritt. Dann müssen für eine „Swiss made“-Uhr als Ganzes mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz anfallen – nicht mehr wie bislang nur für das Uhrwerk. „Swissness“ könnte sich in schlechteren Zeiten als Arbeitsplatzsicherung erweisen, glaubt auch Hansjörg Vollmer, Präsident von Watchparts from Germany, dem Zusammenschluss von 15 Pforzheimer Herstellern und Zulieferbetrieben der Uhrenindustrie: „Die Schweizer Zulieferindustrie kann von dem vorgeschriebenen hohen Anteil an Komponenten aus der Schweiz profitieren“, sagt er. Dennoch werde es wohl einige geben, die die Produktionen drosseln oder sogar die Türen schließen müssten.

 

Szenario wie 2009 wird ausgeschlossen

So sieht auch Aldo Magada, CEO der Marke Zenith, die Entwicklung dementsprechend gelassen: „Luxusuhren wird es immer geben. Es ist, bezogen auf den Weltmarkt, eine exklusive Nische. Essenziell für jede Marke ist es nur, glaubwürdig und anerkannt zu sein. Die Emotionen, die eine mechanische Uhr weckt, sind unersetzlich.“ So glaubt er auch nicht, dass sich Smartwatches zu einer echten Konkurrenz zu teuren mechanischen Uhren auswachsen. Im Gegenteil: „Zenith betrachtet das Aufkommen von Smartwatches als Anreiz, das Kundeninteresse an mechanischen Uhren zu erhalten.“ Vielleicht, so mutmaßt er, seien Smartwatches für Nichtuhrenträger sogar ein Schritt auf dem Weg zur mechanischen Uhr. Auch Pasche hält die Smartwatch für unschuldig am abflauenden Interesse gegenüber teureren Modellen. „Letztes Jahr war das Einstiegssegment das Beste bei unseren Exporten. Das ist ein Zeichen, dass die Smartwatches keine negative Wirkungen entfaltet haben“, sagt er.

Während die Schweizer abwarten und auf bessere Zeiten hoffen, freuen sich viele deutsche Hersteller. Ihre Uhren sind derzeit offenbar begehrt. So hat der sächsische Uhrenhersteller Nomos Glashütte in den vergangenen Jahren Umsatz und Mitarbeiterzahl erneut verdoppelt. „Und diese Wachstumstendenz scheint sich 2016 fortzusetzen. Wir sind in der glücklichen Lage, dass uns die aktuelle Krise nicht betrifft. Unsere Hauptmärkte sind Zentraleuropa und die USA“, sagt Marken-Geschäftsführerin Judith Borowski. Der amerikanische Markt wachse derzeit am stärksten. Borowski schätzt, dass die Mitarbeiterzahl bis Jahresende auf rund 300 steigen wird. Auch die Uhrenfabrik Junghans ist zufrieden. Im Jahr 2015 erzielte das Schramberger Unternehmen ein Wachstum in Höhe von 9,9 Prozent. „Entsprechend der wirtschaftlichen Lage spüren wir eine verstärkte Nachfrage im Mittelpreissegment, besonders in unserer Kernpreislage 500 bis 2000 Euro“, sagt Geschäftsführer Matthias Stotz.

Eine Uhr in dieser Preisklasse würde vermutlich auch einigen Staatsmännern gut gefallen. Nur Wladimir Putin wohl kaum. Laut dem Magazin „Focus“ schmückt sich Russlands Staatschef mit einer Uhr aus deutscher Herstellung, einer A. Lange & Söhne Tourbillon im Wert von stolzen 380 000 Euro.

Text: Natalie KotowskiIllustration: Nadine Pfeifer

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