| Brennpunkt
Es ist der Werbetrend der Stunde: Influencer Marketing. Konsumfreudige und markenaffine Menschen posten verlockende Produktplatzierungen in sozialen Netzwerken, was zu Spontankäufen bei ihrer Anhängerschaft führt. Bei Lifestyle-Brands lösen solche Aktionen mitunter Lieferengpässe aus und selbst bei etablierten Luxusuhren-Marken klingeln mithilfe dieses Phänomens ordentlich die Kassen.
Exakt vier Stunden, 15 Minuten und 43 Sekunden hat es gedauert. Dann landete die letzte von 2012 limitierten „Speedy Tuesday“-Modellen von Omega im Warenkorb eines Online-Kunden. Für umgerechnet 5400 Euro konnten Interessierte eines der begehrten Stücke erstehen – wenn sie denn schnell genug waren. 10,9 Millionen Euro wurden so in weniger als fünf Stunden umgesetzt. Dieser Dienstagnachmittag im Januar 2017 markiert einen fast schon historischen Moment, beweist er doch endgültig die Macht sozialer Kanäle und die ihrer Stars – selbst im Luxussegment. Denn die Vermarktung der Sonderedition lief allein über das Netzwerk Instagram. Der Schlüssel dazu war der Niederländer Robert-Jan Broer. Der Uhrenfan hat 2004 mit „Fratellowatches“ einen der ersten und bis heute einen der erfolgreichsten Uhren-Blogs weltweit gegründet. Hunderttausende Liebhaber verfolgen, was der gelernte IT-Experte über die Branche zu berichten hat. Vor fünf Jahren hat der Niederländer mit #speedytuesday zudem einen der bekanntesten Hashtags in diesem Bereich initiiert. Omega-Fans aus aller Welt präsentieren seitdem unter diesem Schlagwort ihre „Speedmaster“-Modelle und wurden an dieser Stelle auch heißgemacht auf die Sonderedition. Der Hersteller kann sich freuen: Glaubwürdigere Werbung gibt es nicht, in diesem Fall ist sie sogar kostenlos.
Die Macht der sozialen Netzwerke
Broer ist das, was man einen Social Influencer nennt. Er beeinflusst Menschen im Internet durch seine Glaubwürdigkeit, sein Wissen und seine Kompetenz in ihrem Konsumverhalten. Am Umsatz sei er nicht beteiligt gewesen. „Wir konnten mit dieser Aktion zeigen, wie einflussreich unsere Leser, Uhrensammler und Uhrenliebhaber sind “, sagt der 40-Jährige fast schon bescheiden. Und auch Omega-Präsident und CEO Raynald Aeschlimann zeigte sich von der Reaktion auf den neuen Zeitmesser beeindruckt: „Das Feedback der digitalen Community ist unbezahlbar.“ Dabei sieht Robert-Jan Broer überhaupt nicht wie der typische Online-Meinungsmacher aus. Denn die Stars im Social Web, die Hunderttausende Follower bei Instagram, Facebook oder You Tube haben und von Produktplatzierungen leben, sind meist weiblich und so fotogen wie Topmodels. Eine der erfolgreichsten ihrer Zunft ist die in Los Angeles lebende Italienerin Chiara Ferragni. Die 30-jährige „The Blonde Salad“-Betreiberin hat knapp zehn Millionen Instagram-Follower, eine eigene Modelinie und Millionen auf dem Konto. Wenn sie abends ein Partybild mit ihrem Rapper-Verlobten Fedez postet, hat sie am Morgen 400 000 Herzchen gesammelt, ihr Dress ist ausverkauft. Aber auch heimische Größen wie Pamela Reif (3 Millionen Abonnenten auf Instagram) und Caro Daur (1,1 Millionen) tragen vom Scheitel bis zur Sohle perfekt gestylte Outfits oder knappe Bikinis, lassen sich beim Sport, Feiern und Shoppen fotografieren, werden an Traumstränden, bei den Filmfestspielen in Cannes oder auf dem Coachella-Festival abgelichtet und inszenieren aufwendige Stillleben. Dank Livestream und Story-Funktion gibt es das alles seit Neuestem auch mit Bewegtbild und Ton, was die Abonnenten noch näher heranholt. Die Grenze zwischen Privatleben und Beruf ist längst aufgehoben, bezahlter Content ist nur schwer als solcher erkennbar. Obwohl die Gesetzeslage eindeutig ist: „Werbung muss als solche leicht erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote angemessen durch optische und akustische Mittel oder räumlich abgesetzt sein“, heißt es im Rundfunkstaatsvertrag. Und weiter: „Ist die Abgrenzung nicht möglich, braucht es mindestens eine Anmerkung im Textfeld.“ Kaum jemand hält sich daran. Die Überprüfung ist schwierig bis unmöglich.
Das Geschäft mit der Glaubwürdigkeit
Der Job von sozialen Multiplikatoren ist es, ihren Anhängern glaubhaft zu vermitteln: Ich führe ein Traumleben und ich zeige dir, wie du es auch haben kannst. Du musst nur die richtige Handtasche wählen, das richtige Make-up auflegen oder eben das richtige Uhrenmodell tragen, selbst wenn das nur 150 Euro kostet. „Die Glaubwürdigkeit von Influencern ist ex-trem hoch. Sie wissen, was angesagt ist, und sie suggerieren Verbundenheit“, weiß Christian Chyzyk, Geschäftsführer von Reach Heros, dem größten Influencer-Marketing-Marktplatz in Deutschland. „Sie sind wie das begehrenswerte Mädchen oder der coole Junge von nebenan, viele wollen so sein wie sie“, so der Inhaber der Berliner Agentur. Am beeinflussbarsten seien junge Menschen, klar. Und die haben immer mehr Firmen im Blick, sind sie doch „die Konsumenten von morgen“, wie jüngst Chopard-Chefin Caroline Scheufele ihr hohes Engagement im Netz erklärte. Aber auch Mittdreißiger lassen sich gern von ihren „Freunden“ in puncto Wohnungseinrichtung, Kosmetiktrends und Mode-Accessoires „beraten“. Immerhin glauben laut einer Studie von Nielsen mehr als 90 Prozent aller Konsumenten an Kaufempfehlungen, während nur 30 Prozent traditioneller Werbung vertrauen. Von besonderer Wichtigkeit seien dabei „Empfehlungen von mir bekannten Personen“.
Bares für das perfekte Match
Während die Produktplatzierungen der Social-Media-Akteure anfangs mit Warengeschenken abgegolten wurden, zahlen Auftraggeber längst Bares gegen Postings. Den Preis bestimmen: das Markenportfolio, die Bildsprache und die Content-Qualität des digitalen Meinungsmachers. Generell ist die Szene recht verschwiegen, was ihre Einnahmen angeht. Doch komme laut Christian Chyzyk ab einer Reichweite von circa 1000 Abonnenten ein Tausender-Kontakt-Preis (TKP) zum Tragen. Bei Instagram sind dies rund sieben Euro pro Tausend Anhängern, bei You Tube ungefähr 40 Euro. Bei Macroinfluencern mit einer Reichweite von über 500 000 Abonnenten werden fünfstellige Beträge pro Beitrag kolportiert, bei Topstars wie Chiara Ferragni sollen sie sechsstellig sein, Spesen nicht mitgerechnet. Die aufgerufenen Summen sind zum Teil exorbitant, doch sie scheinen sich zu rechnen. Denn Influencer Marketing hat laut Christoph Kastenholz, Gründer der Influencer-Agentur Pulse, gegenüber anderen Werbemaßnahmen einen massiven Vorteil: „Herkömmliche Werbung unterbricht den eigentlichen Inhalt. Influencer Marketing macht, wie eigentlich jede Art von Product Placement, die Produkte zum Teil des Inhalts.“ Das Ergebnis: volle Aufmerksamkeit. Ein Prinzip, das bei Schmink-Tutorials auf You Tube genauso greift wie bei Lifestyle-Bildern auf Instagram.
Dazu kommt: Diese Form der Werbung ist zielgerichtet, die Menschen können direkt nach Geschlecht, Interessen, Wohnort und Alter angesprochen werden. Und was noch besser ist: „Man kann direkt ablesen, wie hoch die Engagement Rate ist, also wie viele Personen ein Bild liken oder es kommentieren beziehungsweise wie viele User sich ein Video ansehen, eine Website besuchen, eine App installieren oder ein Produkt kaufen“, erklärt Christian Chyzyk.
Lifestyle für jedermann
Während etablierte Luxusmarken wie Omega (1,2 Millionen Follower auf Instagram), Hublot (2,1 Millionen) und Tag Heuer (1,2 Millionen) dieses Instrument bislang vorwiegend für sogenannte Brand Awareness nutzen und um ein zeitgemäßes Image zu transportieren, hat Influencer Marketing so manches Start-up-Label überhaupt erst marktfähig gemacht. Einer, der das Potenzial früh erkannt hat, ist der ehemalige BWL-Student Filip Tysander. Der Schwede gründete 2011 die Firma Daniel Wellington (3,2 Millionen Instagram-Follower) und hat mit seinen maritim angehauchten Lifestyle-Uhren mehr als 150 Millionen Euro in nur fünf Jahren gemacht; vermarktet hat er sie ausschließlich über soziale Medien. Heute wohnt der 32-Jährige in einem der teuersten Penthouses von Stockholm. Nach den Sternen gegriffen haben auch drei ehemalige Studenten aus Münster. 2014 sind sie auf den Zug des minimalistischen schwedischen Designs aufgesprungen, gründeten das Label Kapten & Son und generieren damit mittlerweile einen achtstelligen Umsatz. Ihre Modelle bewerben die drei Westfalen mit dem Slogan „born for adventure, exploring the world“, Fans teilen die Impressionen ihrer Reisen unter dem Hashtag #bekapten. Die Modelle selbst präsentieren sich mit Schweizer Quarzwerk aus dem Hause Ronda und in schmaler Dresser-Optik, die sich der Kunde auf Wunsch in einem Online-Konfigurator selbst zusammenbasteln kann. Geschäftsführer und Mitgründer Artjem Weissbeck: „Unser Bekanntheitsgrad ist durch das Influencer Marketing sehr hoch. Das Motto ‚affordable luxury, designed in germany‘ hat sich auf internationaler Ebene etabliert. Das wiederum kommt unserem Online-Verkauf, aber auch den Einzelhandelspartnern im In- und Ausland zugute. Viele Kunden kommen in den Laden und fragen explizit nach unseren Produkten – und das zu einer Zeit, in der viele klassische Marken enorme Probleme haben.“
Soziale Netzwerke und ihre Fangtechniken
Als größte deutsche Influencer-Agentur bringt Reach Hero rund 27 000 Multiplikatoren (aus DACH und UK) und 2000 Firmen zusammen, darunter Rewe, Sony und Universal. Im GZ-Gespräch verrät CEO Christian Chyzyk, wie Influencer Marketing in den wichtigsten Kanälen funktioniert.
Die 2010 initiierte Bilder-App (seit 2016 mit Video-Funktion) ist das Tool Nummer eins in Sachen Influencer Marketing. Produktplatzierungen werden stimmungsvoll eingebunden und von den Abonnenten als Inspiration und nicht als störend wahrgenommen. Nachteil für Nutzer: Eine direkte Verlinkung zu Online-Shops ist bis dato technisch nur in der Stories-Funktion möglich. Das erschwert einen schnellen Kauf.
Das 2004 gegründete Netzwerk ist das reichweitenstärkste. Weltweit hat es 1,86 Milliarden aktive Nutzer monatlich, im Deutschland circa 27 Millionen (Stand: 4. Quartal 2016). Hier stehen weniger ästhetische Komponenten im Vordergrund als vielmehr informative. Das erfordert ständige Content-Pflege,
dafür sind Produkte dank Affiliate-Links nur wenige Mausklicks entfernt.
Youtube
Das Video-Portal (Gründung: 2005) hat mehr als eine Milliarde Nutzer – das entspricht fast einem Drittel aller Internet-User. Täglich werden Videos mit einer Gesamtdauer von mehreren hundert Millionen Stunden wiedergegeben und Milliarden Aufrufe generiert. Das Netzwerk ist ideal für erklärungsbedürftige Produkte und aufwendigere Influencer-Kampagnen.
Andere soziale Kanäle wie Pinterest, Twitter, Tumblr und Snapchat können als Verlängerung der Hauptwege genutzt werden, spielen aber für sich genommen
in puncto Influencer Marketing eine untergeordnete Rolle.
Text Marion Genetti
Illustration Nadine Pfeifer