| Brennpunkt
Warum spielt der Goldpreis verrückt? Marktbeobachter sehen hier vor allem Spekulanten am Werk, die mit Papiergold, also Indexfonds oder Optionen, spielen. „Die physische Nachfrage nach Gold ist relativ ungebremst“, sagt Dominik Lochmann, Geschäftsführer der Scheideanstalt ESG Edelmetalle aus Rheinstetten. Die Degussa Goldhandel verzeichnete in Deutschland in den ersten Monaten des Jahres 30 bis 50 Prozent mehr Absatz als im Vorjahr. Während der Verhandlungen mit Griechenland im Sommer zogen die Verkäufe noch einmal in derselben Größenordnung an. Auch in den USA laufen Münzen und Barren zurzeit glänzend.
Eine andere Vermutung war, dass nach dem Börsencrash in China viele Anleger, die auf Pump gekauft hatten, ihre Goldbestände abstoßen mussten, um ihre Kreditgeber zu besänftigen. Tatsächlich wurden in Schanghai an einem Tag im Juli allein 33 Tonnen Gold auf den Markt geworfen – mehr als das Dreifache der täglichen Minenproduktion weltweit. Fast zeitgleich kamen in New York 24 Tonnen Gold an den Warenterminbörsen auf den Markt.
Angesichts der erratischen Kursbewegungen mutmaßen Edelmetallexperten ein interessengesteuertes Spiel bestimmter Marktteilnehmer. Insbesondere mit Leerverkäufen drücken Investoren die Kurse. Sie besitzen dabei kein eigenes Gold, sondern verkaufen ein Versprechen in der Zukunft. Wenn sie den Kontrakt erfüllen müssen, können sie das Metall billig kaufen und kassieren die Differenz.
Dass es beim Gold nicht mit rechten Dingen zugeht, ist auch Gegenstand zahlreicher Verschwörungstheorien. So sollen die Zentralbanken an allzu hohen Notierungen des Edelmetalls wenig interessiert sein. Sie befürchten, dass angesichts von Geldschwemme und Nullzinsen keiner mehr dem Papiergeld vertraut. Wegen des Verdachts von Kursmanipulationen beim Goldfixing in London gerieten außerdem die Deutsche Bank und andere Geldinstitute ins Visier der Ermittler. Sie sollen sich abgesprochen haben, Kunden Edelmetalle unter Preis abgekauft und dann zu teuer verkauft zu haben. Neben der Deutschen Bank stehen die UBS, Julius Bär, HSBC, Barclays, Morgan Stanley und Mitsui unter Verdacht. Eine abschließende Bewertung liegt noch nicht vor.
Die Stimmung scheint momentan jedenfalls gegen Gold zu sprechen. Die Analysten prognostizieren, dass es für das Edelmetall sogar noch weiter bergab gehen könnte – bis auf 750 Dollar pro Unze, wie es die Deutsche Bank für möglich hält. Die meisten Experten sehen den mittelfristigen Widerstand bei 1100 Dollar. Was die Zukunft fürs Gold bringt, hängt unter anderem auch von der weiteren Zinsentwicklung, insbesondere in den USA, ab. Denn sobald die FED an der Zinsschraube dreht, werden Anleger von Gold in Dollar umschichten. Allerdings spricht die Angebotsseite gegen allzu große Abstürze: Fachleute haben errechnet, dass die Kosten der Goldförderung je nach Mine zwischen 850 und 1250 Dollar je Feinunze liegen. Bei einem Preis von um die 1100 Dollar oder darunter arbeiten etliche Unternehmen defizitär.
Ein weiterer wichtiger Schmuckrohstoff sind Diamanten, die ebenfalls nicht mehr aus der Abwärtsspirale herauskommen. Die Preise für geschliffene Diamanten waren laut dem jüngsten Rapaport-Newsletter im August weiter verhalten. Weniger Händler kauften den König der Edelsteine zur Lageraufstockung. Auch diejenigen mit Geld warteten auf niedrigere Preise. Der Einbruch der Aktienmärkte in Fernost wirkte sich negativ auf die Stimmung aus, zumal sich die Aussichten für den Luxusmarkt aufgrund der schrumpfenden Aktionärsvermögen der Asiaten vermindert haben. Der Pforzheimer Diamanthändler Eitan Gul meint: „Angebot und Nachfrage passen seit einiger Zeit nicht mehr zusammen. Wir haben einen Rückgang der Diamantschmuckverkäufe von 30 Prozent in China. In Russland sieht es nicht besser aus.
Wir schätzen, dass das Marktvolumen von geschliffener Ware von vormals 24 Milliarden US-Dollar im Jahr auf heute 16 bis 18 Milliarden gesunken ist. Die Produzenten haben bis vor Kurzem auf diese Entwicklung nicht reagiert und die gleiche Menge Rohmaterial zu den alten, hohen Preisen auf den Markt gebracht. Erst im Juli/August fingen die Rohsteinlieferanten an, das Angebot zu begrenzen.“
Die Rohstein-Nachfrage blieb trotzdem verhalten – auch nachdem De Beers die Preise um schätzungsweise zehn Prozent auf seiner Sicht im August gesenkt hatte. Die Preise werden weiterhin als zu hoch angesehen und die Schleifereien müssen nach wie vor kämpfen, um einen Gewinn zu machen. Jochen Müller, Präsident der Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein: „Rohware ist teurer als geschliffene Ware, und das – von Ausschlägen abgesehen – seit 2009. Von der Juli-Sicht sind bei De Beers und Alrosa bis zu 60 Prozent des Volumens zurückgegeben oder zur späteren Abnahme verschoben worden. Es war für die Minengesellschaft der niedrigste Verkauf seit der Finanzkrise 2008/2009. Die Sightholder beklagen seit Langem die fehlende Spanne wegen zu hoher Rohdiamant-Preise.“
Der RapNet Diamond Index bei der geschliffenen Ware fiel für 1-Karat-Diamanten um 3,7 Prozent in den ersten acht Monaten und um 12,9 Prozent innerhalb eines Jahres zum Stichtag 1. September. Die Nachfrage nach Diamanten von 0,30 bis 0,50 Karat ging vor allem wegen des Lagerüberhangs zurück. Eitan Gul ist jedoch zuversichtlich: „Anfang November beginnt das indische Lichterfest Diwali. Die Schleifereien werden diesmal nicht nur während der Feiertage, sondern länger schließen. Es wird also weniger geschliffene Ware auf den Markt kommen. Ich vermute, im Januar und Februar wird sich der Markt stabilisieren.“ Die großen Bergbauunternehmen haben laut Rapaport jedenfalls ihre Produktionsprognose für das Jahr gesenkt. Der kombinierte Produktionsindex von Alrosa, De Beers, Rio Tinto, Dominion Diamant Corporation und Petra Diamonds Rose zeigt eine geschätzt um fünf Prozent geringere Förderleistung in der ersten Hälfte des Jahres. Es wird erwartet, dass sie um weitere acht Prozent in der zweiten Jahreshälfte zurückgeht. Auf die fünf Bergbauunternehmen entfallen rund 70 Prozent der weltweiten Diamantförderung.
Wie es weitergeht mit den wichtigsten Schmuckrohstoffen hängt auch vom Verlauf des Weihnachtsgeschäfts in den USA sowie der Konjunkturentwicklung in Fernost ab. Doch die Preise werden gerade beim Gold nicht vom realen Geschehen, sondern vor allem von der Psychologie diktiert. Und die lässt sich schwerlich vorhersagen…
von Axel Henselder, Illustration: Lennart Gäbel